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KATALOGTEXT
Gespannte Verhältnisse
by Katja Behrens
Instinktiv, spontan, sinnlich auf der einen, rational, intellektuell und konzeptuell auf der anderen Seite. Die Kunst von Gerrit Groteloh stellt verschiedene Materialien in einen Dialog, der sich um deren je eigenen Qualitäten dreht, der sich mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung wendet. Ein Dialog, der unvorhersehbar ist wie das künstlerische Arbeiten selbst.
Die Materialbilder der Werkgruppe Poesie der Laufmasche sind sowohl bild- als auch objekthafte Kompositionen aus Nylonstrümpfen: übereinander gelagert, gespannt, zerschnitten oder zerrissen.
Das Material ist oft erst auf den zweiten Blick identifizierbar; denn, obschon die Bildobjekte von diesen konkreten Gegenständen ausgehen, aus ihnen bestehen, sind sie gegenstandslos: sie möchten nichts abbilden und beziehen sich nicht auf etwas Gegenständliches. Die ehemaligen Strümpfe sind lediglich Material. Die Assoziationen, die sie hervorrufen lassen sich freilich kaum unterdrücken: Luxus, Eleganz, Erotik, Verletzlichkeit, Vergänglichkeit, auch Zerstörung, Gewalt und Aggression.
Diese Konnotationen des Materials zu benutzen ist aber keineswegs die Intention des Künstlers. Vielmehr geht es ihm darum, die Assoziationen zum Frauenbein zu unterdrücken und das Material selbst, seine körperlichen und anschaulichen Effekte zu untersuchen. Eigenschaften wie Transparenz, Elastizität und das Phänomen der Laufmasche im Hinblick auf grafische, malerische Qualitäten sind es, die ihn berühren und beschäftigen.
Die Fragilität des Materials erfordert dabei eine gewisse Spontaneität bei der Arbeit. Manches ist geplant, vieles ist nicht vorhersehbar. Es entstehen Objekte, deren Kompositionen sich aus vielen übereinander gelagerten Schichten entwickeln. Unter den Bildern von Gerrit Groteloh liegen immer mehrere Bilder verborgen. Bildfindungen entwickeln sich in direkter Reaktion auf das Material, entstehen aus teils zufälligen, teils gelenkten Zerstörungen des Strickmusters.
Dem Prinzip des gelenkten Zufalls wird so eine wesentliche Beteiligung am Entstehungsprozess der Nylonobjekte eingeräumt. In die eine oder die andere Richtung gedehnt, auseinander gezogen, voreinander gelegt, zerschnitten und zerrissen: die verschieden farbigen und verschieden starken Nylongestricke reagieren je unterschiedlich, fordern eine je andere Herangehensweise und schaffen je neue anschauliche Phänomene. Sie verdichten sich zu dunklen, abgründigen Höhlen oder spannen sich in leichten, lichten Schleiern umeinander. Sie werden sehr lang gezogen oder zu dichten Schichten gelegt. Die Spuren ihres Entstehens bleiben immer sichtbar. Oft reißen sie, verlieren die angestrebte Form, sind widerspenstig. Eindeutig: Das Material führt ein Eigenleben.
Doch das reagierende Arbeiten erlaubt auch, zu immer wieder neuen sinnlichen Erfahrungen zu kommen, die dem primär subjektiven Künstlerausdruck ein objektives, eben nicht gänzlich kontrollierbares Moment zur Seite stellen. Der Zufall wird als produktives kreatives Moment anverwandelt und eröffnet damit die Chance, das Potential des Unvorhersehbaren, des Unbeherrschbaren auszuschöpfen.
Und so öffnen sich die Objekte in einen ambivalenten, immer wieder ungreifbaren Raum. Reflektionen und Licht suggerieren Bewegung, verändern das Wahrgenommene, verunklären den eigenen Standpunkt – und mit ihm die eigenen Sicherheiten. Die innerbildliche Dramatik wird durch die changierenden Vorder- und Hintergründe, die umspringenden Negativ- und Positivformen, durch Licht und Schatten geformt und gesteigert.
Diaphan und zugleich dicht, leicht und stark lädt das Material fast dazu ein, berührt zu werden. Und zwar wegen der ihm eigenen haptischen Qualitäten. Das vielleicht ist das anspruchsvollste Ereignis und Ergebnis dieser Kunst: dass sie die nahe liegenden Assoziationen zu unterdrücken vermag und stattdessen, Drama und Lyrik der Laufmasche zu einer eigenen Erzählung verwebt, dass sie den Betrachter bestrickt.
Symbiosis
Auch in der Serie Symbiosis ist das Material nicht allein Gestaltungselement, vielmehr werden die besonderen Charakteristika von Materie und Form zum eigentlichen Inhalt des Werkes.
Gerrit Groteloh verwendet Fundstücke als Ausgangsmaterial. Das können z. B. Äste, Steine oder Wurzeln sein, die in ihrer natürlichen Gestalt belassen werden, denen dann jedoch durch Hinzufügen oder Verhüllen gewissermaßen eine Sprache verliehen wird.
Durch die Konfrontation mit luxuriösen Zivilisationsmaterialien wie Samt und Seide werden die urwüchsigen Fundobjekte in ihrer materialen Struktur bestätigt und betont. Das Steinerne des Steins, seine Härte, seine Sprödigkeit, die Risse und Schründe seiner Oberfläche kommen im Dialog mit der Weichheit und Nachgiebigkeit des Samtes in seinen Ritzen erst wirklich zur Geltung (Okklusion, 1994). Durch den künstlerischen Eingriff wird das Material, das Steinerne des Steins, zu sich selbst gebracht.
Nicht nur die Steigerung der Wahrnehmung von Materialeigenschaften und strukturellen Charakteristika, ist das Anliegen, vielmehr wird auch der künstlerische Eingriff selbst, das Formende der Künstlerhand zu Thema. Die Ölbaumwurzel, der eine goldene Kugel eingeschrieben wurde, zeigt diesen Verhalt besonders deutlich (Cresca, 1998). Das Wurzelwerk scheint um diese nahezu perfekt geometrische Form herum gewachsen zu sein. Es sind die Kontraste von Materialien, Farben und Formen, die Konfrontationen des wild-wuchernd Natürlichen mit dem berechenbar Geometrischen, die ein zentrales Motiv dieser Arbeiten darstellen.
Der Künstler ist der Schöpfer eines Gebildes, das den strengen Gesetzen der Mathematik ebenso verpflichtet ist, wie es dem chaotischen Wirken der Natur ausgeliefert scheint. Alles ist Kunst und doch ist elementares Naturwirken in den Prozess der Kunstwerdung mit einbezogen.
Das Lebendige des natürlich Gewachsenen und die euklidische Form sind hier kombiniert, „nicht um ein utopisches Modell für eine Harmonie von Natur und Technik zu entwerfen, sondern um die spezielle Qualität des Individuellen abzugrenzen vom Universellen der Geometrie“, wie der Künstler formuliert.
Allerdings, es geht auch anders, wie die neueren Arbeiten (Stella, 2008, u. Flechte, 2009) zeigen: Wären die Holzfundstücke nicht schon sichtlich tot, die künstlerischen Eingriffe, die Bandschlingen hätten sie bestimmt stranguliert und ihnen dabei doch gleichzeitig auch ein neues Leben geschenkt, nämlich als Kunstwerk, aufbewahrt und aufgebahrt, zu- und hergerichtet, ein Bild, schön und erschreckend zugleich.
Gerrit Grotelohs Objekte betonen die spezifischen Charakteristika der Struktur eines Materials und seiner anschaulichen Wirkungen, doch letztlich entzieht sich immer ein kleiner Rest der künstlerischen Kontrolle. Anschauliche Phänomene lassen sich nicht vollständig berechnen und planen, und gerade das zeigt seine Kunst.
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Tight relations
by Katja Behrens
Instinctive, spontaneous, sensible on one hand, and rational, intellectual and conceptional on the other: The art of Gerrit Groteloh puts different materials into dialogue. A dialogue revolving around these materials‘ qualities, turning from one direction into another. A dialogue as unpredictable as artistic creation itself.
The material-inspired works from the series Run‘s Poetry are compositions made from nylon stockings and are simultaneously image and object. The woman’s nylons are stacked over one another, stretched, cut and torn.
Only at a second glance can the material be identified; even though the works consist of these concrete things, they are non-representational. They do not want to portray or represent anything in particular. The stockings are simply material. The associations they evoke can hardly be suppressed, such as eroticism, vulnerability, violence and aggression.
However, to use these allusions for the material is by no means the intention of the artist. Rather it is to hinder the associations to a woman’s leg and analyze merely the material, its physical and graphic effects. Characteristics like transparency, elasticity and the phenomenon of the run in terms of graphic, picturesque qualities are the ones that perturb and keep one engrossed.
The fragility of the material requires certain spontaneity while working. Some things are planned, yet a lot is unforeseen. Objects emerge whose compositions develop from superimposed layers.
Underneath Gerrit Groteloh’s pictures there are always plenty of hidden images. Works develop in direct response to the material, the results are partly accidental, and partly controlled damage to the meshes or other alterations of the material’s structure.
As mentioned, the principle of the controlled coincidence plays a central role in each object’s creation process. Stretched in either one or the other direction, ripped apart, laid in front of one another, cut into pieces: the nylons’ various colors and thickness invariably react differently; they consistently ask for another approach and repeatedly create new graphic phenomena.
The stockings intensify into dark, fathomless hollows or span themselves in flimsy, light veils around each other. They are elongated or superimposed. Yet, the traces of their origins remain constantly visible. They often crack, lose their intended form and are both fractious and petulant. Evidently: the material has a life of its own.
Nevertheless, the active work continually leads to new sensitive experiences that add an objective, not an entirely controllable moment to the artist’s primary subjective expression. The happenstance is taken as a productive creative moment, which offers the chance to exploit the potential of the unpredictable and unrulable.
The objects open into an ambivalent and perpetually unseizable space. Reflections and light suggest motion, modifying the perceived, making one’s own standpoint dubious – and with it the certainties. The image’s internal drama is shaped and increased through light and shade, and through the changing fore- and background, and the mode shifting negative and positive forms.
Light and strong, transparent and at the same time compact, the material entices to be touched. That is because of its own haptic qualities. This might be the most challenging occurrence and outcome of this art: that it is able to restrain the obvious associations and, in lieu thereof, the run’s drama and verse interweave its own narration, entrapping the viewer.
Symbiosis
Also in the series Symbiosis materials are not used as a mere design element, on the contrary the special characteristics of form and matter often become the actual content of the work.
Gerrit Groteloh uses objects he has found as raw material, as branches, stones or roots. They are left in their natural condition, upon which a language is bestowed by adding or veiling, not to free them of their material world, but rather to emphasize their being as form.
By the confrontation with luxurious “civilized“ materials such as velvet and silk, the very primordial objects are confirmed and accentuated in their substantial structure. The rockness of the stone, its hardness, its brittleness, the tears and fissures of its surface thrive on their dialogue with the softness and indulgence of the velvet in its crevices (Occlusion, 1994). The material is brought to itself by the artistic interference.
Not only the enhancement of the perception of material properties and structural characteristics is the concern, moreover, the artistic intervention, the sculpting by the artist’s hand is being broached. The olive-tree root, in which a golden ball was inserted, shows this rather explicitly (Cresca, 1998). This root seems to have grown around this almost perfect geometrical form. It is the contrasts of materials, colours and forms, the confrontation of the rampant growing of the natural with the calculable geometry, which represent a central motive of these works.
The artist is the creator of an entity, which is just as committed to the strict laws of mathematics, as it seems to be at the mercy of the chaotic work of nature. Everything is art and still the elementary processing of nature is implied into the becoming of art.
The vitality of grown substance is combined with Euclidean form, “not to compose a utopian model for a harmony of nature and technology, but to confine the special quality of the individual from the universal of geometry”, as the artist puts it.
However, the newer works show that it also works differently (Stella, 2008 and Braid, 2009): If the found wooden objects would not already be visibly dead, the twines and nooses would have strangled them. At the same time the artistic intrusion would have given them new life: as artpiece, preserved and laid out, battered and arranged, an image simultaneously beautiful and frightening.
Gerrit Groteloh’s objects highlight the specific characteristics of the structure of a material and its descriptive effects, but ultimately a small remainder always eludes itself from artistic control. Descriptive phenomena cannot completely be evaluated and planned, and just this shows his art.